Real Estate Podcast

Paul Frederik Schulz-Greve (HAWK-Fakultät Fakultät Management, Soziale Arbeit, Bauen)

"Stadt, Land, Stress? – Forschung zum Umzugsverhalten verschiedener Einkommensgruppen (E03 S02)

Welchen Einfluss finanzielle und nicht-finanzielle Faktoren auf die Wohnortwahl haben: Ein Experiment

15.05.2025 36 min Paul Frederik Schulz-Greve (HAWK-Fakultät Fakultät Management, Soziale Arbeit, Bauen)

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Folge zu Gast: Lisa Mertensmeier, Real Estate Scientist und Alumna der HAWK. Sie spricht über ihr spannendes Experiment im Immobilienmanagement: Ziel des Experiments ist es, die (Wohn-)Segregation bei der Ortswahl zum Wohnen zu untersuchen.

Lisa erklärt, wie unterschiedliche Studien diese "Entmischung" bei der Wohnortwahl untersuchen. Ein Experiment wurde entwickelt, um den Einfluss ethnischer Faktoren und Einkommensungleichheiten auf Umzugsentscheidungen zu analysieren. Dabei werden fiktive Charaktere wie Jeffrey und Melanie genutzt, um individuelle Entscheidungen in Bezug auf Stadtteile zu simulieren. Zudem geht es darum, wie die Erkenntnisse für städtebauliche Maßnahmen genutzt werden können, um Segregation besser zu verstehen und zu steuern. 

Hinweis zu den Shownotes/Quellen: nicht alle Studien sind peer-reviewed, weshalb bei der Quellenrecherche Vorsicht geboten ist.


Quellen:

Ibraimovic, Tatjana / Masiero, Lorenzo (2012): Do Birds of a Feather Flock Together? The Impact of Ethnic Segregation Preferences on Neighbourhood Choice; in: Urban Studies Journal Limited; o. A.; o. A.; S. 693-711.

Ireland, Patrick (2007): Comparing Responses to Ethnic Segregation in Urban Europe; in: Urban Studies Journal Limited; o. A.; o. A.; S. 1333-1358.

Owens, Ann (2019): Building Inequality: Housing Segregation and Income Segregation; in: Sociological Science 6; 1. Auflage; o. A.; S. 497-525.

Statista GmbH (Hrsg.) (2022): Durchschnittliche Höhe der Konsumausgaben je Haushalt¹ im Monat in Deutschland nach Verwendungszweck im Jahr 2022; online verfügbar unter:https://de.statista.com/statistik/daten/studie/164774/umfrage/konsumausgaben-private-haushalte/; zuletzt aktualisiert: o. A.; zuletzt geprüft: 24.03.2025.

Hu, Xiao / Liang, Che-Yuan (2021): Does income redistribution prevent residential segregation?; in: Journal of Economic Behavior and Organization; o. A.; o. A.; S. 519-542. 

Freie Universität Berlin (Hrsg.) (2024): Logistische Regression (Logit-Modell); online verfügbar unter: https://wikis.fu-berlin.de/pages/viewpage.action?pageId=860619014; zuletzt aktualisiert: 25.07.2024; zuletzt geprüft: 24.03.2025.


 Fragen oder Anmerkungen zur Folge oder zum Podcast? Schreibt uns gerne an: realestatepodcast.fm@hawk.de

Transkript

Lisa Mertensmeier
00:00:06
Sowohl die begünstigte als auch die benachteiligte Gruppe bewertet die Anwesenheit von Mitbürgern als positiv. Je höher die Bildung, desto weniger relevant wird dieser Faktor jedoch. Zusammengefasst ist es für begünstigte Menschen mit Migrationshintergrund und Einheimische und auch für Personen mit niedrigem Bildungsniveau wichtiger, in der Nähe von Mitbürgern derselben Egnia zu leben.
Music
00:00:32
Music
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:00:38
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Real Estate Science Podcasts der HAWK, der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim-Holzminden-Göttingen. Mein Name ist Paul-Frederik Schulz-Grewe und heute sitzt mir meine Kollegin Lisa Mertensmeier gegenüber. Moin Lisa!
Lisa Mertensmeier
00:00:58
Moin!
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:01:01
Lisa, du hast dich in die Literatur eingelesen. Du hast Daten gesammelt und stehst zusammen mit deiner Kommilitonin Vanessa kurz davor, ein eigenes Experiment durchzuführen. Kannst du uns kurz erzählen, worum es heute geht?
Lisa Mertensmeier
00:01:15
Gerne. Heute geht es um das Thema Segregation bei der Wohnortwahl und wie finanzielle und nicht finanzielle Faktoren Einfluss darauf haben. Ich habe mit Vanessa zusammen recherchiert und einige interessante Paper gefunden. Nach der Recherche haben wir dann zusammen ein eigenes verhaltensökonomisches Experiment entwickelt.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:01:35
Okay, also sprechen wir heute quasi über zwei Themen. Einmal über die Erkenntnisse aus der Literatur und dann über das Experiment, was ihr entwickelt habt, ja? Genau, also beide Teile drehen sich dabei zwar um Segregation bei der Wohnabwahl. Die Literatur bildet uns sozusagen den Hintergrund und die Erkenntnisse daraus haben wir in die Entwicklung unseres Experiments einfließen lassen. Das sind dann die zwei Teile. Okay, was habt ihr denn bei eurer Recherche dazu herausgefunden?
Lisa Mertensmeier
00:02:06
Wir haben verschiedene Forschungen im Bereich Segregation gefunden und alle behandeln zwar das gleiche Thema, aber die Erkenntnisse sind durch einen anderen Fokus doch jedes Mal wieder neu.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:02:19
Okay, ich denke nicht, dass du mir alle Forschung im Detail erklären kannst aus zeitlichen Gründen, aber ein kurzer Überblick kann, denke ich, nicht schaden. Das hilft mir und den ZuhörerInnen bestimmt auch, um euer Experiment später besser einordnen zu können.
Lisa Mertensmeier
00:02:32
Das stimmt. Okay, ich versuche mich kurz zu fassen. Einmal gibt es von Ann Owens eine Studie zum Thema Wohnungs- und Einkommenssegregation. Darin hat sie Daten aus Volkszählung und dem American Community Survey von 1990 bis 2014 ausgewertet. Das Ziel von ihr war es, das Ausmaß der Wohnungssegregation nach Art und nach Kosten in den 100 größten Ballungsräumen der USA zu belegen. Sie hat ihre Untersuchung also in zwei Teile aufgeteilt. Und welche sind das? Einmal hat sie analysiert, wie sich die Wohnsegregation nach Wohnungstypen im Zeitablauf verändert hat. Sie hat also zum Beispiel Wohnen zur Miete mit Wohnen im Eigentum verglichen. Zusätzlich hat sie dann die Veränderung der Wohnkosten verglichen, also wie sich die Mieten und Hauswerte entwickelt haben. Danach ist sie dann darauf eingegangen, inwiefern die Wohnsegregation mit der Einkommenssegregation zusammenhängt.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:03:33
Okay, das klingt spannend. Und was kam am Ende bei der Studie heraus?
Lisa Mertensmeier
00:03:39
Insgesamt hat die Segregation nach Wohnungstypen mit der Zeit zugenommen. Bei den Wohnkosten ist die Segregation bis 2007 weniger geworden, hat dann aber nach der Finanzkrise wieder zugenommen. Was in meinen Augen aber besonders interessant ist, ist die Erkenntnis, dass der Großteil der Wohnsegregation zwischen den Stadtvierteln stattfindet und die Wohnsegregation zwischen Städten und Vororten im Vergleich weniger relevant ist. Okay, jetzt verstehe ich, was du mit Hintergrund zu eurem Experiment meinst. Euer Experiment dreht sich also um Segregation zwischen Stadtteilen, oder? Ganz genau. Die Studie von N. Owens war eine wichtige Grundlage, um den Ansatz für unser Experiment festzulegen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:04:20
Gibt es denn noch andere Ergebnisse aus der Studie, die für euer Experiment relevant sind?
Lisa Mertensmeier
00:04:26
Also nicht direkt für die Entwicklung, aber für die Auswertung ist es auch bestimmt interessant, den anderen Teil der Erkenntnisse im Hinterkopf zu haben. Anne Orens hat ja auch das Thema Einkommenssegregation untersucht. Und dabei hat sie festgestellt, dass zwischen 32% und 46% der Einkommenssegregation zwischen Stadtteilen innerhalb einer Stadt und nur 7% zwischen Städten und den Vororten entsteht. Also als sie dann die Zusammenhänge zwischen Wohnungs- und Einkommenssegregation analysiert hat, wurde klar, dass die Wohnungssegregation die Einkommenssegregation verstärkt. Sie geht sogar so weit zu sagen, dass die Wohnsegregation den gleichen oder einen höheren Einfluss für die Einkommenssegregation hat, wie die Ungleichheit der Einkommen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:05:14
Okay, und wird auch deutlich, wieso das so ist?
Lisa Mertensmeier
00:05:20
Ja, Haushalte mit hohem und niedrigem Einkommen werden durch ungleiche Wohnmöglichkeiten weiter voneinander getrennt. Ein Beispiel ist hier Los Angeles. Der Stadtteil Beverly Hills ist hier zum Beispiel ja bekannt für wohlhabende Haushalte. Und ärmere Haushalte können es sich einfach nicht leisten, dort zu wohnen, selbst wenn sie das gerne möchten. Sie sind aufgrund der Wohnkosten gezwungen, in einkommensschwächere Stadtteile wie zum Beispiel South Los Angeles zu ziehen. Dadurch werden Wohlhabende von ärmeren Haushalten klarräumlich getrennt. Okay, verstehe. Gibt es denn Ansätze, wie man dagegen vorgehen kann? Ja. Laut Owens ist die Förderung von bezahlbarem Wohnraum in einkommensstarken Vierteln eine Möglichkeit, um das zu erreichen. In einigen Städten wie zum Beispiel Minneapolis gibt es politische Maßnahmen, um die Durchmischung zu erhöhen. Hier wurden zum Beispiel gezielt Stadtentwicklungsprogramme entworfen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:06:16
Okay, und gibt es noch mehr Maßnahmen?
Lisa Mertensmeier
00:06:19
Ja, also die Wohnsegregation kann man auf ganz unterschiedlichen Wegen verringern. Eine Maßnahme ist, wie schon gesagt, bezahlbaren Wohnraum in einkommensstärken Stadtteilen zu ermöglichen. Dadurch erhalten mehr einkommensschwache Haushalte einen besseren Zugang zu Bildungs-, Arbeits- und Sozialmöglichkeiten. Aber auch eine vielfältigere Kostenstruktur für Wohnraum in den Stadtteilen hilft. Wichtig ist nur, dass etwas unternommen wird. Denn ohne Veränderungen in der Wohnungsmarktpolitik bleibt die soziale und wirtschaftliche Struktur in den Stadtteilen gleich.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:06:53
Da sind einige interessante Punkte dabei. Die Studie bezieht sich jetzt aber auf die Wohnungssegregation in den USA. Gibt es denn noch Studien, die sich mit Segregation in Deutschland oder Europa beschäftigen?
Lisa Mertensmeier
00:07:05
Ja, Patrick Eierland hat zum Beispiel zum Thema Segregation in verschiedenen Städten von Deutschland, die Niederlanden und Belgien geforscht. Und worum ging es da genau in seiner Forschung? In seiner Forschung hat er den Fokus vor allem auf die unterschiedliche Wahrnehmung ethnescher Segregation in den verschiedenen Ländern und Städten gelegt. Dabei hat er auf der Grundlage von statistischen Daten, politischen Dokumenten und Interviews den Zeitraum von den 1970ern bis in die frühen 2000er analysiert. Okay, gibt es denn da unterschiedliche Wahrnehmungen? Ja, die gibt es. Und abhängig von der Wahrnehmung der Segregation fiel dann auch die Reaktion der Politik vor Ort unterschiedlich aus.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:07:52
Okay, inwiefern hat Deutschland denn zum Beispiel anders auf diese Segregation reagiert als Belgien?
Lisa Mertensmeier
00:07:57
In Deutschland wurde Segregation als sozioökonomisches Problem gesehen. Es wurde also vor allem die Armut und Marginalisierung der Gruppen betrachtet. In Belgien und auch in den Niederlanden wurde die Segregation eher als räumliches Problem gesehen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:08:13
Wie kann ich mir das denn vorstellen? Also eigentlich geht es doch in allen drei Ländern um das gleiche Thema, oder nicht?
Lisa Mertensmeier
00:08:21
Im Prinzip schon. Dass es Segregation gibt, ist erstmal gleich. Aber wie die verschiedenen Länder damit umgegangen sind, war völlig verschieden.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:08:30
Und was wurde jetzt in Deutschland genau anders gemacht als in den Niederlanden oder in Belgien?
Lisa Mertensmeier
00:08:37
In Deutschland wurde der Fokus auf Armutsbekämpfung, Bildung und eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt gelegt. In Belgien und den Niederlanden hingegen hat man zum Beispiel als Stadtverwaltung versucht, Migranten durch Wohnungsbaupolitik gleichmäßiger zu verteilen. Okay, verstehe. Und wie sieht das jetzt in der Praxis aus? Kannst du vielleicht ein paar Beispiele für Maßnahmen nennen? Klar. Also es gab zum Beispiel soziale Wohnungsbauprogramme, damit Stadtviertel mehr durchmischt werden. Es wurden auch städtische Erneuerungsprojekte durchgeführt, um benachteiligte Stadtviertel wieder attraktiver zu machen. Haben die Maßnahmen denn funktioniert? Nicht ganz. Alle Maßnahmen gegen Segregation sind früher oder später an ihre Grenzen gestoßen. Es gab in den 1990er und 2000er Jahren zum Beispiel finanzielle Engpässe. Deshalb wurden viele Programme nicht nachhaltig umgesetzt. Auch die Privatisierung zum Beispiel von Sozialwohnungen hat dafür gesorgt, dass weniger bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Teilweise gab es sogar politische Widerstände gegen die Maßnahmen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:09:45
Wie meinst du das? Also hat die Politik ihre eigenen Maßnahmen nicht weiterverfolgt?
Lisa Mertensmeier
00:09:50
Genau. Also teilweise haben die Regierungen auf eine marktorientierte Stadtentwicklung gesetzt und der Einfluss der Sozialpolitik auf die Wohnsegregation ist dadurch dann entsprechend weniger geworden. An anderen Stellen wurden die Maßnahmen als promigrantisch wahrgenommen und zum Beispiel von populistischen Strömungen erschwert.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:10:09
Was waren denn die Folgen davon?
Lisa Mertensmeier
00:10:13
Viele Städte haben daraufhin ihren Fokus verlagert. Sie haben sich von der Vorstellung gelöst, die Segregation vollständig verhindern zu können und versuchen seitdem eher die negativen Folgen der Segregation zu verringern. Dabei greifen sie zum Beispiel auf Maßnahmen für eine verbesserte Bildung und bessere Arbeitsmarktintegration zurück. Aber auch eine bessere Infrastruktur und soziale Integration sind mögliche Strategie. Soziale Netzwerke, zum Beispiel in Nachbarschaften, werden in der Studie als entscheidender Faktor gesehen, um negative Folgen abzumildern.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:10:47
Okay, die Politik spielt also immer noch eine wichtige Rolle beim Thema Segregation.
Lisa Mertensmeier
00:10:53
Ja, aber der Einfluss der Politik ist begrenzt. Strukturelle und historische Faktoren haben auch einen großen Einfluss darauf, ob und wie Segregation begrenzt werden kann. Das sind die Erkenntnisse, die ich aus der Studie mitnehmen konnte.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:11:09
Okay, das habe ich jetzt glaube ich auch ganz gut verstanden. In der Studie geht es hauptsächlich um die Wahrnehmung der Segregation und darum, welche Maßnahmen von der Politik durchgeführt wurden.
Lisa Mertensmeier
00:11:19
Ganz genau.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:11:20
Gibt es denn auch Studien, die genauer auf die Wirkung der Maßnahmen eingehen?
Lisa Mertensmeier
00:11:25
Ja, also wir haben zum Beispiel eine Studie gefunden, die politische Maßnahmen in Schweden untersucht. Darin geht es darum, ob die Einkommensungleichheit und die staatliche Umverteilung die Wohnsegregation beeinflussen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:11:40
Genau sowas meinte ich. Wie genau wurden denn die Maßnahmen in dieser Studie untersucht?
Lisa Mertensmeier
00:11:46
Es wurden Daten zur schwedischen Bevölkerung von 1990 bis 2017 aus der GeoSweden-Datenbank ausgewertet. Darin sind auch Steuer- und Transferinformationen enthalten. Dadurch konnten die Mechanismen hinter der Segregation analysiert werden. Und auf der Grundlage wurden dann politische Handlungsempfehlungen abgeleitet.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:12:07
Welche Mechanismen wurden denn festgestellt?
Lisa Mertensmeier
00:12:12
In der Studie wurde ermittelt, dass die Segregation seit den 1990er Jahren hauptsächlich deswegen zugenommen hat, weil sich einkommensschwache Haushalte in bestimmten Vierteln konzentrieren. Es gab zwar Umverteilungsmaßnahmen durch Steuer- und Transferpolitik, Kapitalsteuern oder Sozialleistungen, diese hatten aber nur einen minimalen Einfluss darauf.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:12:34
Gibt es andere Faktoren, die mehr Einfluss auf die Wohnortwahl der Menschen haben?
Lisa Mertensmeier
00:12:40
Ja, Bildung wurde in der Studie zum Beispiel als entscheidender Faktor festgestellt. Personen mit niedrigem Qualifikationsniveau und geringeren beruflichen Chancen tendieren laut der Studie eher dazu, in bestimmten Vierteln zu bleiben. Es sind also langfristige Investitionen in die Bildung einkommensschwacher Haushalte notwendig. Politik, die Schulabschlüsse von sozial schwachen Kindern fördert, würde die Segregation also besser verringern als Unverteilungsmaßnahmen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:13:08
Okay, also ich glaube, die Hintergründe habe ich jetzt auch verstanden. Jede Forschungsarbeit behandelt das Thema Segregation wirklich komplett anders, obwohl ihr alle das gleiche Thema am Ende untersuchen.
Lisa Mertensmeier
00:13:19
Das stimmt und es gibt in Zukunft bestimmt auch noch viele weitere Ansätze. Immerhin sind Segregation und die Entscheidung, wo man wohnt, von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängig.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:13:29
Und damit wären wir jetzt wieder bei eurem Experiment. Wie ist denn euer Ansatz? Also was wollt ihr genau herausfinden?
Lisa Mertensmeier
00:13:37
Also wenn du unsere Forschungsfrage meinst, die lautet, wie beeinflussen Stereotypen und Ereignisse in unterschiedlichen Stadtteilen das Umzugsverhalten? Das wollen wir mit unserem Experiment herausfinden.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:13:51
Das ist erstmal eine recht komplexe Fragestellung. Immerhin ist es doch vor allem von der persönlichen Situation abhängig, welche Kriterien besonders großen Einfluss auf die Entscheidung haben, oder?
Lisa Mertensmeier
00:14:02
Ja, da hast du recht. Im echten Leben gibt es natürlich total viele Kriterien, die die Wohnortwahl beeinflussen. Zum Beispiel ist die Haushaltsvergrößerung durch Kinder ein Grund, in eine größere Wohnung umzuziehen. Weil wir die Faktoren im Rahmen des Experiments aber auf eine überschaubare Anzahl verringern mussten, haben wir Charaktere erstellt. So konnten wir die Kriterien dann begrenzen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:14:25
Ja, okay. Und welche Charaktere habt ihr dann entwickelt?
Lisa Mertensmeier
00:14:29
Um den Fokus bei dem Experiment auf den Vergleich zwischen Arm und Reich zu legen, haben wir zwei fiktive Personen, Jeffrey und Melanie, erstellt. Für die beiden Personen haben wir Rahmendaten festgelegt, die am Anfang des Spiels als Steckbrief angegeben werden. Die Namen haben dabei keine Bedeutung, sondern sollen den Teilnehmern nur dabei helfen, sich besser mit der Rolle identifizieren zu können. Die Teilnehmer sollten sich nämlich während des Spiels in die Rollen von Jeffrey oder Melani hineinversetzen und so spielen, als wären sie selbst in ihrer Situation.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:15:01
Okay, witzig. Ihr habt also ein Spiel entwickelt, um eure Fragestellung zu untersuchen.
Lisa Mertensmeier
00:15:07
Ja, könnte man sagen. Also unser Experiment ist wie ein Spiel aufgebaut. Es gibt mehrere Runden, in denen die Teilnehmer Punkte sammeln können. Sie sollen dann versuchen, ihre Spielpunkte zu maximieren, um am Ende zu gewinnen. Und wie läuft das ab? Das Ziel des Spiels ist es, die eigene Wohnsituation zu optimieren. Die Teilnehmer übernehmen wie gesagt die Rolle von Jeffrey oder von Melanie. Die Charaktere haben unterschiedlich viele Einkommen in einer ansonsten ziemlich gleichen Lebenssituation. Beide sind 30 Jahre alt, Single, haben keine Kinder und suchen eine 80 Quadratmeter Wohnung in der Nähe ihres Arbeitsortes. Und beide arbeiten im Zentrum von Neselhain, das ist unsere fiktive Stadt.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:15:49
Okay, wow. Da geht ihr ja ganz schön ins Detail. Und was machen Jeffrey und Melanie so in Neselheim vielleicht auch beruflich? Jeffrey arbeitet dort als Bademeister im Hallenbad und Melanie ist Ärztin im Krankenhaus. Ansonsten haben die beiden gleiche Hobbys, wie zum Beispiel mit Freunden essen gehen, shoppen, Sport, also nichts Außergewöhnliches. Okay, das Gehalt ist also der einzige Unterschied.
Lisa Mertensmeier
00:16:20
Genau. Jeffrey verdient als Bademeister in unserem Experiment 1960 Euro netto im Monat, während Melanie 4900 verdient. Die Einkommen sind also wirklich sehr unterschiedlich.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:16:33
Okay, aber im Alltag muss man ja nicht nur Miete zahlen. Wie macht ihr das denn in eurem Spiel? Also ich denke nicht, dass ihr auch noch einen Supermarkt eingeplant habt, oder? Nee, also ganz so detailliert ist unser Spiel dann nicht. Die monatlichen Ausgaben haben wir pauschal anhand von Durchschnittswerten in Deutschland bestimmt. Um den Spielraum für die Teilnehmer möglichst groß zu lassen, haben wir nur die Kosten für Lebensmittel und Getränke, Transportmittel und die Sparquote als Fixkosten geplant. Den Rest können die Teilnehmer dann selbst auf Miete und sonstige Ausgaben verteilen. Je nachdem, wie viel Sie für die Miete ausgeben, bleibt dann also mehr oder weniger für zum Beispiel Kleidung, Urlaub und Freizeit übrig. Okay, aber die Charaktere gibt es ja nicht wirklich. Also könnte ich jetzt als Spielteilnehmer einfach die maximale Miete zahlen und dafür eine super Wohngegen ziehen. Das müsste ja am besten sein, wenn es darum geht, den Wohnort zu optimieren. Für Kleidung, Urlaub und Freizeit muss ich mich jetzt ja in eurem Spiel erstmal nicht interessieren.
Lisa Mertensmeier
00:17:35
Naja, also ganz so einfach ist es nicht. Lass uns das mal durchspielen. Du bist jetzt Jeffrey und hast von deinem Einkommen am Ende noch etwa 1300 Euro für Miete und Freizeit übrig. Vor deinem Umzug hast du rund 600 Euro Miete gezahlt und dein Lebensstandard ist ja entsprechend daran angepasst. Du bist es also gewohnt, jeden Monat 700 Euro für deine Freizeit auszugeben. Und jetzt hast du auf einmal keine 700 Euro mehr. Du musst also deinen Freunden absagen, weil dir das Geld zum Essen gehen fehlt. Oder du kannst dir keine neuen Klamotten mehr kaufen und du musst alle Streaming-Dienste kündigen. Wenn du jetzt in Jeffreys Situation wärst, wie würde sich das dann für dich anfühlen?
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:18:17
Ja gut, das wäre dann natürlich wirklich keine Option. Ich will ja nicht arbeiten, nur meine Wohnung zu finanzieren. Das würde mich dann natürlich auch sehr unzufrieden machen.
Lisa Mertensmeier
00:18:27
Genau. Und weil das vermutlich jedem so gehen würde, haben wir in unser Spiel einen Mechanismus eingebaut, der dafür sorgt, dass die Freizeit auch mit berücksichtigt wird. Wenn du also weniger für die Miete ausgibst, hast du mehr Geld für Freizeit übrig. Das würde dann zum Beispiel bedeuten, dass du zweimal im Jahr in den Urlaub fahren kannst anstatt einmal. Und das hätte dann ja auch einen Mehrwert.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:18:50
Ja gut, dann ziehe ich halt in die günstigste Wohngegend und maximiere meine Spielpunkte durch mehr Freizeit.
Lisa Mertensmeier
00:18:58
Da muss ich dich leider enttäuschen, denn wenn du jeden Morgen über eine Stunde zur Arbeit hin und zurück pendelst, hat das ja auch Einfluss auf deine Zufriedenheit. Erstmal musst du dir vermutlich ein Auto anschaffen, um zur Arbeit zu kommen, das kostet wieder Geld und du hast auch weniger Zeit für Freizeit im Allgemeinen. Und jetzt stell dir vor, dass zusätzlich noch in deiner Nachbarschaft vermehrt eingebrochen wird und direkt nebenan eine Großbaustelle ist. Fühlst du dich dann wohl an deinem Wohnort?
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:19:26
Nee, da hast du natürlich recht. Das würde mich dann am Ende natürlich auch ganz schön nerven.
Lisa Mertensmeier
00:19:31
Also das Ziel des Spiels ist es im Endeffekt eine gute Balance dazwischen zu finden. Du musst also die Kosten und Risiken der verschiedenen Wohnorte möglichst gut abwägen. Und welche Risiken muss ich denn dabei beachten? Als Beispiel habe ich jetzt ja gerade die Großbaustelle und die Einbrüche genannt. Das sind zwei Beispiele aus den Kategorien Kriminalität und Bautätigkeit. Zusätzlich haben wir noch sonstige Ereignisse in das Experiment integriert. Darunter fallen zum Beispiel Demonstrationen oder rücksichtslose Nachbarn. Je nach Stadtteil sind für die einzelnen Ereignisse unterschiedliche Risikofaktoren hinterlegt. Die Ereignisse sind also nicht immer gleich wahrscheinlich.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:20:15
Und woher weiß ich jetzt als Teilnehmer, in welchen Stadtteilen zum Beispiel die Kriminalitätsrate höher oder geringer ist?
Lisa Mertensmeier
00:20:23
Das ist ja gerade das Spannende. Also du als Teilnehmer weißt es gar nicht. Und das ist der Punkt, an dem unser Experiment auch für die Forschung interessant wird. Dadurch, wie die Teilnehmer ihren Wohnort wählen, können wir dann am Ende auswerten, welchen Einfluss soziale Stigmata auf die Wahl hatten. Und das ist ja gerade das Ziel des Experiments.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:20:42
Ah, okay, verstehe. Und welche Wohnorte habe ich jetzt zur Auswahl?
Lisa Mertensmeier
00:20:48
Im Neselheim gibt es fünf verschiedene Stadtteile, vom Luxusviertel in der Innenstadt bis zum ländlichen Sozialgebiet ist alles dabei. Die Unterschiede zwischen den Mieten und der Infrastruktur und auch den Freizeitangeboten haben wir bei unserem Experiment bewusst groß gelassen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:21:06
Welche Wohngegende Neselheim ist denn am besten in Bezug auf die Umgebung?
Lisa Mertensmeier
00:21:11
Das meiste Angebot in der Umgebung hast du natürlich im Luxusviertel. Hier müsstest du 1.200 Euro für eine Wohnung bezahlen. Dafür wärst du dann aber in einer ruhigen Lage im Zentrum. Rundherum sind mehrere Bäcker, Apotheken, Spezialärzte, die Einkaufspassage und das Shoppingcenter. Hier hättest du auch die beste Auswahl zwischen verschiedenen Freizeitangeboten. Restaurants, Bars und Cafés kannst du zum Beispiel zu Fuß erreichen und du wärst in fünf Minuten zu Fuß bei der Arbeit .
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:21:41
Okay, das klingt erstmal gut, ist aber wahrscheinlich auch echt ziemlich teuer. Was ist denn die günstigste Alternative?
Lisa Mertensmeier
00:21:50
Im Sozialgebiet am Stadtrand bekommst du eine Wohnung schon für 520 Euro im Monat. Das ist hier die günstigste Möglichkeit. Dafür musst du dir dann aber wahrscheinlich ein Auto anschaffen oder sehr viel Zeit mitbringen. Der nächste Sportverein ist nämlich 10 Minuten mit dem Auto oder 30 Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Und eine Busanbindung gibt es dort leider nicht. Bis zur Arbeit brauchst du mit Bus und Bahn sogar anderthalb Stunden. Wenn du das Auto nimmst, sparst du dir pro Strecke immerhin 20 Minuten.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:22:21
Mensch, ganz schön groß dieses Neselheim. Gar nicht so leicht, sich da zu entscheiden. Ich glaube, die Stadtteile kommen für mich beide, ehrlich gesagt, dann deshalb nicht in Frage. Ich würde also eher in einen Stadtteil ziehen, in dem ich eine ähnliche Miete zahle wie jetzt zuvor.
Lisa Mertensmeier
00:22:37
Okay, dann kommt für dich wahrscheinlich eher der Stadtteil mit 680 Euro Miete im Monat in Frage. Ja, das klingt doch erstmal nicht schlecht. Wie würde ich denn da wohnen? Da hättest du einen Supermarkt und eine Drogerie in der Nähe und auch ein Arzt und Zahnarzt ist in der Umgebung. Es gibt ein Restaurant und ein Imbiss, die du zu Fuß in ungefähr 15 Minuten erreichen kannst und in 10 Minuten mit dem Fahrrad bist du am Skate- und Fußballplatz. Zur Arbeit brauchst du von Tür zu Tür etwa 40 Minuten mit der Bahn. Und gibt es noch andere Freizeitmöglichkeiten in der Umgebung? Nicht direkt. Dafür müsstest du dann schon weiter Richtung Zentrum fahren. Da gibt es dann mehr Angebote.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:23:20
Okay, also die Möglichkeiten vor Ort sind jetzt alle nicht so toll, aber wenn ich für die Arbeit sowieso ins Zentrum fahre, kann ich mich ja auch nach der Arbeit dort mit FreundInnen treffen, zum Sport gehen und so weiter. Ich denke, ich würde mich dann für die 680 Euro Miete entscheiden, dann bin ich zwar leicht über meinem vorherigen Mietniveau, aber ich brauche nicht unbedingt ein Auto und habe noch genug Geld für Freizeit.
Lisa Mertensmeier
00:23:45
Das klingt logisch. Also würdest du dann dorthin ziehen? Ja, ich denke schon. Okay, dann wäre an diesem Punkt jetzt Schritt 1 von unserem Spiel vorbei. An der Stelle würden wir dich als Teilnehmer dann dazu befragen, wieso du den Stadtteil ausgewählt hast. Darüber haben wir ja gerade schon gesprochen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:24:03
Okay, also ich müsste dann einen Fragebogen ausfüllen oder so.
Lisa Mertensmeier
00:24:08
Genau. Wenn wir neben den eigentlichen Entscheidungen auch die Begründung der Teilnehmer sehen, können wir die Daten entsprechend besser auswerten und vermeiden Fehlinterpretationen. Unsere Datenmenge wird vermutlich nicht allzu groß und da könnten Ausreißer dann vielleicht doch ein Problem werden. Und so haben wir quasi eine Kontrolle in unser Experiment integriert. Das ist natürlich praktisch. Und was kommt dann nach dem Fragebogen? Danach ist dann aus Sicht des Spiels ein Jahr in Neseheim vorbei und du als Jeffrey hast dann viele Informationen zu deinem und den anderen Wohnorten gesammelt, die du dir zum Jahresende jetzt nochmal anschaust. Du kannst also neu abwägen, ob der Wohnort für dich der richtige ist.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:24:51
Okay, wie genau läuft das ab? Wie kann ich mir das vorstellen?
Lisa Mertensmeier
00:24:55
Nach dem Fragebogen kommst du wieder auf die Startseite mit den Stadtteilen zurück. Allerdings werden dir jetzt Pop-up-Fenster angezeigt, in denen du einige Schlagzeilen über die Ereignisse in Neseheim lesen kannst. Da könnten zum Beispiel Sachen stehen wie Wohnungseinbruch im Luxusviertel oder vermehrt Demos in Neselhain-Mitte.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:25:14
Aha, ich kann da so erst nach meiner Entscheidung für einen Stadtteil die Auswirkungen sehen.
Lisa Mertensmeier
00:25:20
Ganz genau. Und nachdem du die Meldungen dann gesehen hast, kannst du dich wieder für einen neuen Wohnort entscheiden. Oder halt in demselben Wohnort bleiben.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:25:29
Okay, und welchen Vorteil hätte es denn, wenn ich umziehen würde?
Lisa Mertensmeier
00:25:34
Das kann ich dir gar nicht genau beantworten. Das ist ja auch sehr davon abhängig, welche Risiken tatsächlich ausgelöst werden. Wenn zum Beispiel als Meldung für deinen Stadtteil angezeigt wird, Mord in Neselheim, Täter auf der Flucht, oder du die Meldung bekommst, dass direkt über dir eine Familie mit lauten Kindern eingezogen ist, hat das Auswirkungen auf deine Spielpunkte. Ah, okay. Mir werden also Punkte abgezogen, wenn sich meine Umgebung verschlechtert. Ja, genau. Wenn im echten Leben ein Mord in der Nachbarschaft passiert, dann würdest du dich doch bestimmt nicht mehr genauso sicher fühlen wie vorher, oder?
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:26:11
Wahrscheinlich nicht. Zum Glück hatte ich den Fall noch nicht. Aber ich hätte bestimmt ein mulmiges Gefühl, wenn ich abends nach Hause laufe.
Lisa Mertensmeier
00:26:18
Ja, das wird wahrscheinlich jedem so gehen. Das ist jetzt natürlich nur ein Beispiel. Aber dieses Gefühl der Unsicherheit, das durch bestimmte Ereignisse ausgelöst werden kann, senkt dann deine Spielpunkte in unserem Experiment. Genauso dann auch ständige Lärmbelästigung oder andere Ereignisse. Die negativen Auswirkungen berücksichtigen wir dann, indem wir je nach Ereignis eine bestimmte Anzahl an Spielpunkten von deinem Konto abziehen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:26:47
Okay, also dann würde ich mir auf jeden Fall einen anderen Stadtteil aussuchen.
Lisa Mertensmeier
00:26:52
Genau, das wäre dann eine Möglichkeit. Und genau dieses Umzugsverhalten in Kombination mit den Gründen werken wir dann aus.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:27:00
Wenn ich mich jetzt also dazu entscheide, in einen anderen Stadtteil zu ziehen, sammelt ihr diese Daten und könnt dann am Ende ein Muster erkennen.
Lisa Mertensmeier
00:27:10
Das hoffen wir zumindest. In einer weiteren Studie wurde zu einer ähnlichen Fragestellung nämlich auch so ein Experiment durchgeführt und ausgewertet. Daraus könnte man dann eventuell Rückschlüsse auf die Ereignisse in unserem Experiment ziehen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:27:25
Okay, eine Studie mit Experiment hast du mir heute noch nicht vorgestellt. Worum ging es denn dieser Studie?
Lisa Mertensmeier
00:27:32
Die Studie analysiert die Auswirkungen von ethnischen Präferenzen auf die Wohnortwahl. Der Schwerpunkt wurde dabei auf die Selbstsegregation gelegt. Also darauf, inwiefern Menschen sich selbst aussuchen, mit anderen ausländischen Gemeinschaften zusammenzuleben. Dazu wurde ein Stated Preferences Experiment entwickelt.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:27:52
Okay. Segregation ist also nicht nur von äußeren Einflüssen abhängig. Ganz genau. In der Studie, auf die ich am Anfang eingegangen bin, wurde der Einfluss von übergeordneten Gegebenheiten analysiert. Aber die eigene Entscheidung der Menschen trägt auch wesentlich zur Segregation bei. Okay, wie wurde das in dieser Studie denn jetzt bestimmt?
Lisa Mertensmeier
00:28:16
Die Studie basiert auf einem Random Utility Model. Diesen Mechanismus im Detail zu erklären, würde, glaube ich, den Rahmen dieser Folge sprengen. Okay, kannst du denn vielleicht trotzdem erklären, wie das Experiment abgelaufen ist? Also zusammengefasst könnte man es etwa so beschreiben. Die Teilnehmer wurden vor die Wahl zwischen ihrem aktuellen Wohnort und zwei Alternativen gestellt. Dabei waren die Faktoren, die die Wahl beeinflussen konnten, genau wie bei unserem Experiment auch begrenzt. Es gab verschiedene ethnische und nicht-ethnische Faktoren. Dazu gehört einmal die Konzentration der Mitbürger aus demselben Herkunftsland im Verhältnis zur Gesamtzahl der Menschen mit Migrationshintergrund. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund wurde auch noch angegeben.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:29:04
Okay, was sollte denn dadurch festgestellt werden?
Lisa Mertensmeier
00:29:09
Das Ziel bei den ethnischen Faktoren war es, zu untersuchen, wie die Einstellung der Teilnehmer zum Leben in einem vielfältigen Umfeld mit einem hohen Anteil an zugewanderten Menschen ist.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:29:21
Okay, verstehe. Und welche Faktoren gab es noch?
Lisa Mertensmeier
00:29:27
Nicht-ethnische Faktoren waren einmal die Miete und die Fahrzeit zur Arbeit. Dadurch sollte zum einen ermittelt werden, wie groß die Zahlungsbereitschaft der Teilnehmer für bestimmte Nachbarschaftsmerkmale ist, und außerdem wurde dadurch analysiert, wie groß der Standortfaktor im Vergleich zu anderen Faktoren ist.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:29:45
Okay, das klingt ja schon mal sehr ähnlich zu eurem Experiment, oder?
Lisa Mertensmeier
00:29:49
Das stimmt. Neben dem Experiment wurde aber auch noch eine Umfrage ausgewertet. gewertet. Darin wurden 133 Haushalte aus zehn verschiedenen Ländern am Computer interviewt. Okay. Und wie wurden diese Daten dann ausgewertet? Dazu wurde ein Logit-Modell genutzt. Durch diese Methode wird die Beziehung zwischen zwei oder mehr Variablen analysiert. Eine Variable muss dabei eine sogenannte Dichotome-Variable sein. Das ist eine Variable, bei der nur zwei Ergebnisse möglich sind. Die Auswahl des Stadtteils zum Beispiel. Man kann sich entweder dafür oder dagegen entscheiden, aber nichts dazwischen. Die übrigen Variablen sind unabhängig.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:30:31
Und was waren die Ergebnisse, die damit ermittelt wurden?
Lisa Mertensmeier
00:30:36
Mithilfe dieses Logit-Modells wurde festgestellt, dass die Teilnehmer bei der Wohnortwahl beide ethnischen Faktoren berücksichtigen. Ein höherer Anteil an Menschen mit dem gleichen Migrationshintergrund, also Menschen, die aus demselben Herkunftsland wie man selbst kommen, wurde eher gewählt. Stadtteile mit insgesamt einem hohen Anteil an zugewanderten Menschen wurde eher gemieden. Die Zahlungsbereitschaft für diese ethnischen Faktoren war jedoch insgesamt vergleichsweise niedrig. Das bedeutet also, dass ethnische Faktoren bei der Wohnortwahl eher eine untergeordnete Rolle spielen. Die Präferenzen der Befragten variieren dabei auch nochmal zusätzlich nach Herkunft und Bildungsstand.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:31:18
Okay, verstehe. Für mich wäre die Nähe zum Arbeitsort und die Miete auch viel entscheidender als der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund. Aber es interessiert mich, welche Unterschiede es bei den Befragten gibt.
Lisa Mertensmeier
00:31:32
Das finde ich auch sehr spannend. Die Studie hat nämlich gezeigt, dass begünstigte Menschen aus dem Ausland und Einheimische mehr mit Mitbürgern der gleichen Ethnie zusammenleben wollen. Haushalte aus benachteiligten ethnischen Gesellschaften ist dieser Faktor weniger richtig.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:31:51
Okay, die Herkunft beeinflusst also die Präferenzen. Und welche Rolle spielt die Bildung dabei?
Lisa Mertensmeier
00:31:58
Mit steigendem Bildungsniveau sinkt die Bedeutung der ethnischen Zusammensetzung in einem Stadtteil aus Sicht der Teilnehmer. Das deckt sich ja auch mit anderen Erkenntnissen aus den Studien, die wir vorhin schon gehört haben. Bildung wurde also auch in dieser Studie wieder als wesentlicher Faktor für weniger Sebregation festgestellt.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:32:19
Und wie sieht es mit dem Rest der Ergebnisse aus? Es wurde ja noch mehr untersucht, oder nicht?
Lisa Mertensmeier
00:32:25
Ja, genau. Die Zahlungsbereitschaft für die verschiedenen Faktoren war ja der andere Teil, der in der Studie analysiert wurde. Die Ergebnisse daraus unterstützen quasi nochmal die Ergebnisse von gerade. Sowohl die begünstigte als auch die benachteiligte Gruppe bewertet die Anwesenheit von Mitbürgern als positiv. Je höher die Bildung, desto weniger relevant wird dieser Faktor jedoch. Zusammengefasst ist es für begünstigte Menschen mit Migrationshintergrund und Einheimische und auch für Personen mit niedrigem Bildungsniveau wichtiger, in der Nähe von Mitbürgern derselben Ethnie zu leben.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:33:03
Was könnt ihr denn jetzt aus den Erkenntnissen der Studien für eure Forschung ableiten?
Lisa Mertensmeier
00:33:09
Einiges. Besonders die Studie mit dem Experiment hat gezeigt, dass ethnische Faktoren eher bei niedrig gebildeten Gruppen einen Einfluss auf die Wohnortwahl haben. Deswegen gehen wir davon aus, dass die Gruppe aus Jeffreys Perspektive schneller aus Stadtteilen wegzieht, wenn Personen mit Migrationshintergrund für negative Ereignisse verantwortlich sind. Andere Ereignisse, wie zum Beispiel Baustellenlärm, könnten im Vergleich einen geringeren Einfluss auf das Umzugsverhalten haben. Auch wenn der Schaden im Spiel ähnlich hoch ist.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:33:40
Verstehe. Aber die Umzüge sind für Jeffrey ja durch die Miete begrenzt.
Lisa Mertensmeier
00:33:44
Genau, in unserem Experiment würde sich die Segregation vermutlich eher aufgrund von Einkommensungleichheiten ergeben. Also ähnlich wie bei dem Los Angeles Beispiel von vorhin. Für Jeffy ist es ja kaum möglich im Luxusviertel zu wohnen, weil dann viele Punkte für den sinkenden Lebensstandard in der Freizeit abgezogen werden. Bei Melanie spielt der finanzielle Aspekt aufgrund der hohen Ausgangsbasis eine vergleichsweise niedrige Rolle. Für sie würden im Vergleich dann vielleicht eher die Vorteile eines geringeren Risikos und bessere Freizeitmöglichkeiten im Luxusgürtel überwiegen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:34:19
Und wie könnte man eure Erkenntnisse nutzen?
Lisa Mertensmeier
00:34:24
Falls sich unsere Annahmen bestätigen, würden diese es ermöglichen, die städtebaulichen Maßnahmen und Fördermöglichkeiten besser an die Anforderungen in den jeweiligen Vierteln anzupassen. Die Erkenntnisse könnten auch dabei helfen, politische Maßnahmen besser auf verschiedene Einkommensverteilungen in den Vierteln zuzuschmeißen.
Paul-Frederik Schulz-Grewe
00:34:44
Okay, dann bin ich mal gespannt auf die Ergebnisse von eurem Experiment. Wir beobachten das auf jeden Fall weiter. Danke dir, Lisa, dass du uns das Experiment und die Literatur dazu vorgestellt hast. Dadurch konnte ich auf jeden Fall einiges mitnehmen und ihr, liebe ZuhörerInnen, hoffentlich auch. Ich will nur noch kurz darauf aufmerksam machen, dass nicht alle Studien, auf die wir uns in dieser Podcast-Folge beziehen, in peer-reviewed journals, also vertrauenswürdigen Fachzeitschriften, veröffentlicht wurden. Bei der Einsicht unserer Quellen solltet ihr darauf unbedingt Rücksicht nehmen. Und das war's mit einer weiteren Folge unseres Real Estate Science Podcasts. An dieser Stelle möchte ich mich auch noch bedanken bei Prof. Dr. Jan Schlüter für die wissenschaftliche Betreuung und Florian Aue von der Pressestelle der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim, Holzminden, Göttingen. Und wenn ihr jetzt noch Fragen oder Kommentare zu dieser oder einer anderen Folge habt, dann schickt uns gerne eine Mail an realestatepodcast.hawk.de. Wir freuen uns auf euer Feedback. Bis zur nächsten Folge. Macht's gut.
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00:36:00
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