Real Estate Podcast

Paul Frederik Schulz-Greve (HAWK-Fakultät Fakultät Management, Soziale Arbeit, Bauen)

Bleiben oder gehen? Wohnungssuche im Verhaltensexperiment (E02 S02)

Wie Einkommen und Wohnraummängel unser Umzugsverhalten beeinflussen

15.04.2025 22 min Paul Frederik Schulz-Greve (HAWK-Fakultät Fakultät Management, Soziale Arbeit, Bauen)

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Folge zu Gast: Moritz Müller, Real Estate Scientist. Er spricht über sein spannendes Experiment im Immobilienmanagement. Ziel des Experiments ist es, das Umzugsverhalten von Mietern auf einem angespannten Wohnungsmarkt zu untersuchen. 

Moritz erklärt, wie verschiedene Einkommensklassen und typische Mietprobleme, wie Schimmel oder Lärm, die Entscheidungen der Teilnehmer beeinflussen. Besonders interessant sind die Statistiken zur Wohneigentumsquote in Deutschland, die derzeit bei 48% liegt, und den extremen 16% in Berlin. Interessierte Zuhörer sind eingeladen, am Online-Spiel teilzunehmen, um wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen.


Quellen:
Aubele / Baake / Duso / Kholodilin / Pfeiffer / Stiel (2023): Wohnkosten, Lebenszufriedenheit, Sicherheitsempfinden und Narrative - Eine Betrachtung der langfristigen Verteilungswirkungen von Wohnungsmarktzyklen (WLSN); in DIW Berlin - Politikberatung kompakt, Nr. 199.

Destatis (Hrsg.) (2024a): 0,3 % weniger fertiggestellte Wohnungen im Jahr 2023; verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/ 2024/05/PD24_203_31121.html; zuletzt geprüft: 17.03.25.

Destatis (Hrsg.) (2024b): Eigentumsquote – Ergebnisse Mikrozensus; verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Wohnen/Tabellen/tabelle-eigentumsquote.html?; zuletzt geprüft: 17.03.25.

Dustmann / Fitzenberger / Zimmermann (2021): Housing Expenditure and Income Inequality; in: The Economic Journal, Volume 132, Issue 645, July 2022. 

Holm / Regnault / Sprengholz / Stephan (2021): Muster sozialer Ungleichheit der Wohnversorgung in deutschen Großstädten, in Working Paper Forschungsförderung, Nr. 222.

Kahneman, D., & Tversky, A. (1979): Prospect theory: An analysis of decision under risk, in: Econometrica, Volume 47, Number 2, March 1979.

Mullainathan, S., & Shafir, E. (2013): Scarcity: Why having too little means so much, Macmillan.
Norddeutscher Rundfunk (Hrsg.) (2025): Die Ampelkoalition hat ihr Ziel verfehlt; verfügbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/wohnungsbau-ampelkoalition-100.html; zuletzt geprüft: 17.03.25.

Statista GmbH (Hrsg.) (2024): Wohneigentumsquote in ausgewählten Ländern Europas 2023; verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/155734/umfrage/ wohneigentumsquoten-in-europa/; zuletzt geprüft: 17.03.25.



 Fragen oder Anmerkungen zur Folge oder zum Podcast? Schreibt uns gerne an: realestatepodcast.fm@hawk.de

Transkript

Moritz Müller
00:00:10
Am Anfang wirst du allgemeine Informationen zum Spiel erhalten und einem von zwei Ausgangsszenarien zugeordnet. Entweder übernimmst du die Rolle einer Angestellten im Einzelhandel oder die einer besser verdienenden Steuerberaterin. Die Steuerberaterin lebt in einer Dreizimmerwohnung in Berlin-Mitte und die Miete macht rund 30% des Nettoeinkommens aus. Die Einzelhandelskauffrau lebt in einer Zweizimmerwohnung im Stadtteil Lichtenberg. Hier beträgt die Mietbelastung bereits 50%.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:00:40
Hallo und herzlich willkommen zu einer weiteren Folge unseres Real Estate Podcasts der HAWK, der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim, Holzminden, Göttingen. Mein Name ist Paul Frederik Schulz-Grewe und mir gegenüber sitzt heute Moritz Müller.
Moritz Müller
00:00:58
Hey Frederik, danke dir für die Einladung.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:01:00
Schön, dass du heute dabei bist. Erzähl doch mal, wer du bist und warum wir uns heute hier austauschen.
Moritz Müller
00:01:06
Ich studiere Immobilienmanagement im Master und durfte mich im Rahmen der Vorlesung Urban Economics and Housing Studies näher mit der Verhaltensökonomie auseinandersetzen. Wir haben ein Experiment in Form eines Spiels entwickelt, das untersuchen soll, wann und warum Mieter umziehen. Insbesondere möchten wir erfahren, wie sich ein angespanter Wohnungsmarkt und unterschiedliche Einkommensklassen auf das Verhalten auswirken. Heute möchte ich dir über die Hintergründe und vorerst über den Aufbau des Spiels berichten.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:01:34
Sehr interessantes Thema. Das heißt aber, das Spiel findet also noch statt.
Moritz Müller
00:01:40
Genau. Es ist geplant, dass Freiwillige aus dem näheren Dunstkreis teilnehmen können. Gerne aber auch du und alle Zuhörer sind herzlich eingeladen, teilzunehmen. Ich denke, wir können das Online-Spiel nachträglich in den Shownotes verlinken.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:01:53
Das auf jeden Fall. Wir geben euch auf jeden Fall, die hier zuhören, einen Hinweis, sobald das soweit ist. Moritz, kannst du uns noch etwas genauer erklären, worum es bei diesem Spiel geht?
Moritz Müller
00:02:04
Es handelt sich um ein Thema, das besonders in Ballungszentren für viele Menschen belastend sein kann. Stell dir vor, du wohnst in einer Wohnung und über die Zeit treten Mängel auf. Was würdest du tun? Würdest du bleiben und dich arrangieren oder würdest du dich nach einer neuen Bleibe umsehen? In einer Stadt wie Berlin, wo Wohnraum sowieso knapp ist. Genau das wollen wir in unserem Experiment anschauen. Wie reagieren Menschen in solchen Situationen? Wie hoch ist die Toleranz und inwiefern spielen unterschiedliche Einkommensverhältnisse dabei eine Rolle?
Paul Frederik Schulz-Greve
00:02:35
Okay, bevor wir in den Spielaufbau tiefer einsteigen, müssen wir ein allgemeines Thema ansprechen, und zwar die Schere zwischen Arm und Reich. Denn die wächst kontinuierlich. Welche Rolle spielen denn die Wohnkosten bei dieser Einkommensungleichheit?
Moritz Müller
00:02:52
Seit den 90er Jahren geht die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen in Deutschland weiter auseinander. Und das wird noch deutlicher, wenn man die Wohnkosten mit einbezieht. Menschen mit einem geringen Einkommen zahlen heute einen höheren Anteil ihres Einkommens für Miete. Der Einkommensanteil der Wohnausgaben ist für das unterste Einkommensquintil überproportional gestiegen und für das oberste Quintil gesunken. Das liegt unter anderem daran, dass viele einkommensschwache Haushalte real weniger verdienen als früher. Außerdem zählt es viele Menschen in größere Städte, wo die Mieten oft besonders hoch sind. Jüngere Generationen geben zudem mehr fürs Wohnen aus und sparen weniger als frühere Generationen im selben Alter, was natürlich langfristig Auswirkungen auf ihr Vermögen haben könnte.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:03:38
Okay, das hat ja nicht nur finanzielle Folgen, sondern bestimmt auch, wie zufrieden man mit seinem Leben ist, oder?
Moritz Müller
00:03:44
Da sind wir tatsächlich auch schon bei den zentralen Parametern des Spiels. Das verfügbare Einkommen nach der Mietbelastung und die Zufriedenheit, die im Wesentlichen durch die Wohnsituation bedingt wird, können durch die Spieler durch individuelle Entscheidungen beeinflusst werden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat untersucht, welche Faktoren die Lebenszufriedenheit beeinflussen und haben dafür Daten aus einem sozioökonomischen Panel von 1984 bis 2021 ausgewertet. Dabei haben sie herausgefunden, dass Gesundheit und Familie die wichtigsten Einflussgrößen sind, gefolgt vom Einkommen. Die Wohnsituation spielt eine ähnlich große Rolle wie der Beruf und die Freizeit. Insgesamt ist die Lebenszufriedenheit von 2015 bis 2021 gestiegen. Nur der Freizeitwert sank. Das hängt vermutlich mit der Corona-Pandemie zusammen.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:04:35
In den letzten Jahren hat sich ganz schön viel verändert. Mich würden aktuelle Zahlen dazu interessieren, aber vielleicht liefern eure Ergebnisse ja schon spannende Einblicke. In Deutschland betrifft das Thema ja viele. Wie war das nochmal? Weniger als die Hälfte der Menschen besitzt Wohneigentum, richtig?
Moritz Müller
00:04:53
Ja, tatsächlich. In Deutschland besitzen nur 48 Prozent der Menschen Wohneigentum. In der Schweiz sind es 43 und in Rumänien hingegen über 90 Prozent. Damit hat Deutschland eine der niedrigsten Quoten in Europa. Besonders extrem wird es, wenn wir nach Berlin schauen. Dort liegt die Eigentumsquote bei etwa 16%.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:05:13
Warum ist das so?
Moritz Müller
00:05:14
Die Gründe sind, wie so oft, vielseitig. In Deutschland besteht traditionell eine starke Mietkultur. Der soziale Wohnungsbau, gemeinnützige Wohnungsunternehmen und Genossenschaften versuchen die Mieter mit bezahlbaren Wohnraum zu versorgen. Ein weiterer Faktor ist der attraktive Mieterschutz. Vermieter können nur unter strengen Bedingungen kündigen, die Mietpreise werden zum Politikum und für Formular-Mietverträge gelten allgemeine Vertragsbedingungen, sogenannte AGBs. All das sorgt für Sicherheit und Flexibilität. Für viele ist Mieten deshalb eine attraktive Option.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:05:47
Na gut, aber niedrige Mieten sind ja auch erstmal was sehr Positives, sodass sich jeder Mensch ja auch erstmal Wohnraum leisten kann. Gleichzeitig ist es natürlich aber auch spannend, langfristig gesehen Wohneigentum zu erwerben, weil das natürlich auch eine gute Altersvorsorge sein kann, oder?
Moritz Müller
00:06:03
Ja, dabei ist es leider gar nicht so einfach, Wohneigentum zu erwerben. Zum Beispiel haben sich die Immobilienpreise in den deutschen Großstädten seit der Subprime- bzw. Finanzkrise bis heute teilweise mehr als verdoppelt. Dazu kommen hohe Kaufnebenkosten wie die Grunderwerbsteuer, die den Kauf zusätzlich erschweren. Und da gibt es noch ein weiteres Problem. Die Zahl der Sozialwohnungen ist auf einem historischen Tiefstand und die Neubautätigkeit stockt. Die Ampelregierung hatte sich vorgenommen, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:06:36
Und wie viel davon wurden in den letzten Jahren tatsächlich gebaut?
Moritz Müller
00:06:40
In 2023 wurden ca. 294.000 Wohnungen in Wohn- und Nichtwohnengebäuden fertiggestellt. Da das Angebot weiter knapp bleibt und die Städte sehr attraktiv sind, werden die Mieten in Ballungszentren weiter steigen. Die Frage ist nur, wie stark.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:06:59
Okay, vor diesem Hintergrund ist euer Thema natürlich umso spannender. Wie seid ihr denn jetzt bei der Entwicklung des Spiels vorgegangen? Du sagtest, dass Mängel auftreten und die Spieler in unterschiedliche Einkommensverhältnisse besitzen. Ich stelle mir jetzt vor, ihr habt im Labor eine Situation geschaffen, die reale Wohnsituation simuliert. Wie sieht das denn genau aus?
Moritz Müller
00:07:21
Ja, also wir werden sechs Runden mit unterschiedlichen Szenarien simulieren. Jede Spielrunde entspricht dabei einem Jahr. Die Teilnehmer werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Abgeteilt, eine Gruppe hat ein niedrigeres Einkommen und die andere ein hohes Einkommen. Stell dir einfach mal vor, du schlüpfst in eine Rolle einer fiktiven Person und lebst im Ballungszentrum Berlin. Du hast ein monatliches Budget, also dein Einkommen und plötzlich tritt ein Mangel in deiner Wohnung auf. Die Frage ist, bleibst du in deiner alten Wohnung oder schaust du dich nach einer neuen um?
Paul Frederik Schulz-Greve
00:07:53
Okay, und in welcher Situation finden sich jetzt die TeilnehmerInnen am Anfang der Simulation wieder?
Moritz Müller
00:07:59
Am Anfang wirst du allgemeine Informationen zum Spiel erhalten und einem von zwei Ausgangsszenarien zugeordnet. Entweder übernimmst du die Rolle einer Angestellten im Einzelhandel oder die einer besser verdienenden Steuerberaterin. Die Steuerberaterin lebt in einer Dreizimmerwohnung in Berlin-Mitte und die Miete macht rund 30% des Nettoeinkommens aus. Die Einzelhandelskauffrau lebt in einer Zweizimmerwohnung im Stadtteil Lichtenberg. Hier beträgt die Mietbelastung bereits 50 Prozent.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:08:25
Wieso habt ihr jetzt genau diese beiden Szenarien gewählt?
Moritz Müller
00:08:29
Soziale Ungleichheit hat einen direkten Einfluss auf die Wohnverhältnisse. Haushalte mit weniger Einkommen wohnen in kleineren Wohnungen und häufiger zu Mieten. Zudem haben sie kaum Zugang zu Neubauwohnungen. Besonders ausgeprägt sind prekäre Wohnbedingungen bei Alleinerziehenden, Haushalten mit Migrationshintergrund und Mietern mit niedrigen Bildungsabschlüssen. Wohnen verstärkt die sozialen Ungleichheiten, weil Haushalte mit Dringeneinkommen eine höhere Mietbelastung haben und die Resteinkommen nach der Zahlung der Miete eine noch größere Spreizung aufweisen als die ohnehin bestehenden Einkommensungleichheiten.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:09:01
Und das macht es natürlich umso schwerer, irgendwie Vermögen aufzubauen, um zum Beispiel eine Eigentumswohnung zu erwerben. Also du hast ja am Anfang gesagt, dass während der Spielperioden ein Mangel auftritt. Kannst du uns ein Beispiel für so ein Ereignis geben?
Moritz Müller
00:09:17
Schimmel in der Wohnung wäre so ein typisches Problem. Aber es geht nicht nur um den Mangel selber, sondern auch um die Frage, wie viel die Teilnehmer bereit sind, für die Suche einer neuen Wohnung auszugeben. Sie können selbst festlegen, wie hoch sich die Suchkosten ansetzen, also zum Beispiel Maklergebühren oder ein Abo auf der Plattform wie beispielsweise im Muskeout. Und diese Suchkosten haben eben Einfluss auf den Erfolg, eine neue Wohnung zu finden.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:09:43
Und welche Szenarien traten in den Folgerunden dann auf?
Moritz Müller
00:09:48
Wir werden typische Herausforderungen aus dem Mietalltag simulieren. Zum Beispiel undichte Fenster, die für Zugluft und Kälte sorgen. Auch Belästigung durch Lärm oder schlechter Schallschutz stehen auf der Liste. Unsere Analyse wird zeigen, bei welchen Szenarien die Teilnehmer besonders sensibel reagieren und an welchem Punkt sie sich trotz des knappen Wohnraums entscheiden, die Wohnung zu verlassen. Die theoretische Möglichkeit, Möglichkeit, eine Mietminderung gelten zu machen, haben wir für unser Experiment nicht weiter berücksichtigt. Hast du schon mal Erfahrungen mit Mietmengen gemacht?
Paul Frederik Schulz-Greve
00:10:22
Tatsächlich ja, also ich habe auch mal in einer Wohnung gewohnt, wo die Heizung für einen längeren Zeitraum ausgefallen ist und dementsprechend habe ich dann, die Hausverwaltung war das in dem Fall, darüber informiert und die waren lange nicht tätig und dann haben wir, es war in einer WG, Mietminderung durchgesetzt und dann ist nach ein paar Monaten was passiert, aber und die Heizung wurde dann wieder instand gesetzt, Aber dafür hatten wir auch ein paar Monate, in denen es sehr, sehr kalt war, bis zu neun Grad in der Wohnung. Es war tatsächlich nicht so angenehm. Und du? Hattest du mal so eine Situation, Moritz?
Moritz Müller
00:11:01
Ja, natürlich durch den beruflichen Hintergrund habe ich eher die Vermieterperspektive und da schon sehr viel miterlebt. Typisch sind wirklich Nachbarschaftsstreitigkeiten in Mehrfamilienhäusern. Die sind tatsächlich an der Tagesordnung.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:11:16
Okay, und die können auch zu Mietminderungen führen?
Moritz Müller
00:11:19
Wenn die Wohnqualität auf Dauer beeinflusst wird, ist es natürlich immer eine Einzelfallbewertung, aber grundsätzlich muss der vertragsgemäße Gebrauch gewährleistet werden und wenn der beeinträchtigt ist, müsste man in dem Fall dann einmal schauen, ob da tatsächlich eine Mietminderung geltend gemacht werden könnte.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:11:40
Okay, kommen wir aber zurück zu dem Spiel. Wenn jetzt ein Mangel auftritt, haben die Spieler also die Wahl, entweder in ihrer Wohnung zu bleiben oder nach einer neuen Wohnung zu suchen?
Moritz Müller
00:11:52
Genau, also die Teilnehmer haben zwei Optionen. Entweder sie bleiben in ihrer aktuellen Wohnung oder sie suchen eine neue. Jeder Spieler muss entscheiden, wie viel zahle ich für die vermeintlich bessere Wohnung. Die viel Menge ertrage ich, bevor ich einen Umzug in Erwägung ziehe.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:12:08
Okay, also Schimmel wäre jetzt zum Beispiel ein Thema, was ich nur schwer ertragen könnte. Wenn ich nun zur einkommensstarken Gruppe gehöre, würde es mir vermutlich viel einfacher fallen, das Spiel zu bewältigen, oder? Ich könnte einfach die Suchkosten höher ansetzen und wäre flexibler bei der Wahl einer neuen Wohnung.
Moritz Müller
00:12:26
Absolut. Spieler mit dem Profil der Steuerberaterin werden natürlich deutlich mehr Handlungsspielraum haben. Da wir die Teilnehmer aber in zwei Gruppen aufgeteilt haben, können wir das Verhalten der jeweiligen Gruppen dann vergleichen.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:12:41
Na okay, spannend. Konnten die SpielerInnen auch Präferenzen bei der Wohnungssuche angeben?
Moritz Müller
00:12:46
Ja, im Spiel gibt es die Möglichkeit, das Gesuch anzupassen und zwischen drei potenziellen Wohnungstypen zu wählen. Je nach Ausstattung, Lage und Größe ergeben sich dann verschiedene Preissegmente. Dabei musstest du entscheiden, welche Prioritäten dir wichtig sind und gleichzeitig im Blick behalten, wie viel Budget du für die Lebenserhaltung brauchst. Jemand, der im Eigentum aufgewachsen ist, könnte zum Beispiel gestresster auf Lärm reagieren als jemand, der sein Leben lang in einer Mietwohnung im Mehrfamilienhaus gewohnt hat. Deswegen werden wir am Ende Fragen zum sozialen Hintergrund der Teilnehmer stellen. Dann können wir einfach die Entscheidungen der einzelnen Teilnehmer besser einordnen. Bist du in der Stadt aufgewachsen? Was wäre für dich bei der Wohnungssuche besonders wichtig?
Paul Frederik Schulz-Greve
00:13:28
Tatsächlich bin ich in der Stadt aufgewachsen. Ich wollte aber eben nochmal auf einen Punkt zurückkommen, den du eben erwähnt hattest. Du meintest, jemand, der im Eigentum aufgewachsen ist, könnte zum Beispiel viel gestresster auf Lärm reagieren, als jemand, der in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus gewohnt hat. Das heißt, Eigentum ist ja wahrscheinlich, oder nehme ich daraus jetzt mit, sehr viel verbreiteter in Einfamilienhäusern auf dem Land, außerhalb der Stadt. Ist das so?
Moritz Müller
00:13:54
Ja, tatsächlich. Auf dem Land ist die Eigentumsquote deutlich höher als im städtischen Raum, besonders wenn wir natürlich in die Ballungszentren schauen, wie Berlin.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:14:04
Ja, verstehe. Na, um auf deine Frage zurückzukommen, genau, ich bin in der Stadt aufgewachsen und bei mir war für die Wohnungssuche tatsächlich einfach immer wichtig, dass ich gut angebunden bin und nicht ganz abseits wohne. Und gut, natürlich ist so ein schöner Altbau auch immer was sehr Verlockendes, aber wenn die Wohnung einfach in einem guten Zustand ist, ist mir das eigentlich viel wichtiger, egal ob das Altbau oder Neubau ist. Ich will da ja auch länger wohnen in der Wohnung und mich nicht mit irgendwelchen Mängeln rumschlagen, so wie mir das passiert ist mit der Heizung. Wie ist es bei dir? Bist du auch in der Stadt aufgewachsen, Moritz?
Moritz Müller
00:14:47
Ich bin in einer, ich würde sagen, Kleinstadt in Hameln bei Hannover aufgewachsen. Hier haben wir sowohl die ländlichen Seiten als auch die städtischen Seiten und sehr viel Platz für freie Entfaltung, sage ich mal. Also ich bin ein Landkind, würde ich mich tatsächlich eher einordnen.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:15:09
Okay, spannend. Um nochmal auf dein Spiel zurückzukommen. Wir haben jetzt ja so verschiedene Möglichkeiten, die in dem Spiel durchgegangen werden können. In dem Spiel können die SpielerInnen, die TeilnehmerInnen ja verschiedene Entscheidungen treffen. Kann dann am Ende auch eine Person gewinnen quasi oder wie wird das bei euch aussehen?
Moritz Müller
00:15:30
Ja, in beiden Einkommensgruppen wird es eine Art Gewinner geben. In der Funktion hängt der Konsum vom verfügbaren Einkommen nach Miete und Suchkosten ab. Der Stress entsteht durch die Wohnmenge, die per Zufall verteilt werden. Dadurch haben die Spieler unterschiedliche Bedingungen, wodurch das Spiel aber nicht wirklich fair ist. Am Ende wird sich zeigen, welcher Spieler den besten Ausgleich zwischen Kosten und Wohnqualität gefunden hat.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:15:54
Und was denkst du, wird am Ende als Ergebnis dann dabei rauskommen?
Moritz Müller
00:15:58
Die Spieler werden vermutlich dazu neigen, auf gewisse Dinge emotional zu reagieren und dadurch gegebenenfalls irrational zu handeln. Wie ich schon bereits erwähnt habe, sind Gesundheit und Einkommen besonders wichtig im Leben. Wahrscheinlich ziehen einkommensstarke Mieter öfter um und haben eine klingel Toleranz für Mängel.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:16:18
Aber warum genau passiert das?
Moritz Müller
00:16:20
Das lässt sich mit der Scarcity-Theorie von Elda Schafir aus 2013 erklären. Sie zeigt, dass Menschen unter Knappheit anders denken. Wer ständig mit Geldsorgen kämpft, fokussiert sich auf kurzfristige Lösungen. Das nennt man kognitiven Tunnelblick.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:16:36
Und was bedeutet das konkret für das Spiel?
Moritz Müller
00:16:40
Stell dir vor, jemand hat wenig Geld und seine Wohnung hat Mängel, zum Beispiel Schimmel. Ein Umzug wäre langfristig besser, aber kurzfristig teuer. Die Person denkt nur an die unmittelbaren Kosten und bleibt trotz schlechter Bedingungen wohnen.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:16:55
Also weil die finanziellen Mittel knapp sind, fällt es schwer, langfristig zu planen.
Moritz Müller
00:17:00
Ganz genau. Einkommensschwache Menschen konzentrieren sich stärker auf das Hier und Jetzt. Sie vermeiden zusätzliche Ausgaben, selbst wenn ein Umzug später Vorteile hätte.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:17:10
Und die einkommensstarken Teilnehmer?
Moritz Müller
00:17:13
Die haben natürlich mehr finanziellen Spielraum und erleben diesen Tunnelblick nicht. Sie wägen alle Optionen ab und entscheiden rationaler. Deshalb ziehen sie wahrscheinlich schneller um, wenn Mängel auftreten.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:17:25
Okay, also je mehr finanzielle Reserven jemand hat, desto flexibler kann er auf Wohnungsmängel reagieren.
Moritz Müller
00:17:32
Ganz genau. Scarcity zeigt, dass Armut nicht nur ein finanzielles Problem ist, sondern auch eine Art Beeinfluss, wie Entscheidungen getroffen werden. Unser Spiel will vermutlich genau das bestätigen.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:17:43
Okay. Und gibt es noch weitere Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomik für euer Spiel?
Moritz Müller
00:17:49
Ja, also die Prospect-Theorie liefert eine gute Erklärung. Kahnemann und Tversky zeigen, dass Menschen Verluste stärker empfinden als Gewinne. Das könnte bedeuten für unser Spiel, wenn jemand seine Wohnung als schlecht empfindet, reagiert er stärker, als wenn er nur eine bessere Wohnung als Möglichkeit sieht.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:18:08
Okay, das klingt logisch. Aber warum sind Menschen mit einem hohen Einkommen sensibler für Mängel?
Moritz Müller
00:18:14
Das liegt am Reference-Point-Effekt. Menschen vergleichen ihre Situation mit einem bestimmten Standard. Einkommensstarke Haushalte haben meist höhere Erwartungen an Wohnqualität. Ein Mangel wird für sie als starker Verlust wahrgenommen. Also handeln sie schneller.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:18:30
Und Menschen mit einem geringen Einkommen?
Moritz Müller
00:18:34
Hier könnte der Certainty-Effekt relevant sein. Ein Umzug ist mit Unsicherheiten verbunden. Höhere Miete, neue Umgebung, Umzugskosten. Für jemanden mit wenig Geld kann das Risiko eines Umzugs größer erscheinen als der mögliche Vorteil. Also bleiben Sie eher in der Wohnung, selbst wenn ein Mangel vorhanden ist.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:18:52
Ja, das ist verständlich. Aber könnte das auch bedeuten, dass Menschen mit einem hohen Einkommen überreagieren?
Moritz Müller
00:18:59
Ja, die Prospect-Theorie zeigt, dass Menschen Wahrscheinlichkeiten nicht rational bewerten. Wenn ein Mangel auftritt, könnten einkommensstarke Teilnehmer überbewerten, wie schlimm es wirklich ist, und zu früh umziehen. Einkommensschwache Teilnehmer entgegen könnten Mängel unterschätzen, weil der sichere Verbleib für sie wichtiger ist.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:19:18
Okay, also könnte euer Experiment genau diese Effekte aufzeigen. Wie soll denn die Auswertung dann genau vorgenommen werden von euch?
Moritz Müller
00:19:28
Eine Regressionsanalyse nimmt Variablen als eine Art Erklärer und schaut, welcher Faktor statistisch gesehen am stärksten dazu beiträgt, dass jemand aussiebt oder bleibt. Vermutlich werden Mängel, die gesundheitsbeeinträchtigend sind, wie Schimmel, starke Reaktionen bei den Teilnehmern auslösen. Wir können auch ableiten, wie sich unterschiedliche Einkommenniveaus bzw. Ausgangsszenarien auf die Wohnentscheidungen im Spiel auswirken. Wir sind total gespannt, wie die Teilnehmer reagieren werden. Also an dieser Stelle nochmal der Hinweis, gerne nehmt alle an dem Spiel teil, desto mehr Erkenntnisse wir sammeln können, desto besser sind letztendlich unsere Auswertungen.
Paul Frederik Schulz-Greve
00:20:08
Alles klar, ja, wir beobachten das natürlich weiter und informieren euch, sobald es Ergebnisse gibt. Und wer teilnehmen möchte, findet einen Link zu dem Experiment in den Shownotes. Ich möchte an dieser Stelle noch kurz darauf aufmerksam machen, dass nicht alle Studien, auf die wir uns in dieser Podcast-Folge beziehen, in peer-reviewed journals, also vertrauenswürdigen Fachzeitschriften, veröffentlicht wurden. Bei der Einsicht unserer Quellen solltet ihr darauf unbedingt Rücksicht nehmen. Ja, und das war es mit einer weiteren Folge unseres Real Estate Podcasts der HAWK, der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim, Holzminden, Göttingen. Moritz, vielen Dank für die spannenden Informationen, die du heute mitgebracht hast. Das hat viel Spaß gemacht. Ich hoffe, euch, die zugehört haben, hat das auch viel Spaß gemacht. Und an dieser Stelle möchte ich mich noch bedanken bei Prof. Dr. Jan Schlüter für die wissenschaftliche Betreuung und Florian Aue von der Pressestelle der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim, Holzminden, Göttingen. Und wenn ihr jetzt noch Fragen oder Kommentare zu dieser oder einer anderen Folge des Podcasts habt, dann schickt uns gerne eine Mail an realestatepodcast.hawk.de. Wir freuen uns auf euer Feedback. Bis zur nächsten Folge. Macht's gut.
Music
00:21:37

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